Über das Projekt

Wir alle sind irgendwann in unserem Leben Patient*innen. Bevor eine medizinische Behandlung stattfindet, werden wir nach unserer Zustimmung gefragt. Zur wirksamen Einwilligung gehört, dass wir einwilligungsfähig sind. Tauchen Zweifel an unserer Einwilligungsfähigkeit auf, prüft der*die Mediziner*in, ob wir entgegender der Grundannahme (Einwilligungsfähigkeit besteht), tatsächlich einwilligungsfähig sind.

In der Medizin ist die Achtung der Patientenautonomie ein zentrales Anliegen.1 Gewahrt wird der Respekt vor der Patientenautonomie, indem vor jedem Eingriff eine informierte Einwilligung eingeholt wird. Die von Ärzt*innen gegebenen Information zu Erkrankung und deren Behandlung müssen Patient*innen verstehen, verarbeiten und bewerten können. Diese Fähigkeit – Einwilligungsfähigkeit – kann aufgrund bestimmter Umstände, wie durch eine Erkrankung, beeinträchtigt sein oder sogar komplett fehlen. Sofern Zweifel an der Einwilligungsfähigkeit bestehen, haben Mediziner*innen die Pflicht, dem nachzugehen und die Einwilligungsfähigkeit gründlich zu prüfen – dabei verlassen sie sich meist auf ihre klinische Beurteilungskompetenz.2

Es existieren aber auch verschiedene standardisierte Beurteilungsinstrumente, die auf den kognitiven und verbalen Fähigkeiten von Patient*innen aufbauen. Studien zeigten, dass Beurteilungen durch und ohne diese Beurteilungsinstrumente teilweise nicht zu den gleichen Ergebnissen kamen und unterschiedliche Ärzt*innen mit denselben Instrumenten nicht immer übereinstimmende Beurteilungen erzielen konnten.3 Zudem weisen verschiedene Arbeiten darauf hin, dass die emotionalen Fähigkeiten sowie die individuellen Werte der Patient*innen bei den verfügbaren Instrumenten bisher vernachlässigt werden.4,5,6

Wir werfen die Frage auf, ob künstliche Intelligenz (KI) eingesetzt werden kann, um die Einwilligungsfähigkeitsbeurteilung zu unterstützen und ggf. die Schwächen der ärztlichen Einschätzung und der verwendeten Beurteilungsinstrumente zu kompensieren oder gar zu ersetzen.   

Vor dem Hintergrund einer raschen Entwicklung der Leistungsfähigkeit künstlicher Intelligenz ist eine KI zu Ermittlung der Einwilligungsfähigkeit keineswegs mehr science fiction – sie rückt in die Nähe des Machbaren. Daher wollen wir uns im Rahmen unseres Forschungsprojekts frühzeitig und kritisch mit den möglichen ethischen, rechtlichen, technischen und gesellschaftlichen Auswirkungen eines solchen Konzepts auseinandersetzen.  

  1. Beauchamp, T.L. & Childress, J.F. (2009). Principles of biomedical ethics (6.ed.).Oxford University Press.
  2. Moye, J., Gurrera, R.J., Karel, M.J., Edelstein, B.& O’Connell, C. (2006).Empirical advances in the assessment of the capacity to consent to medical treatments: Clinical implications and research needs. Clinical Psychology Review 26, 1054–1077.
  3. Okai,D., Owen, G., McGuire, H., Singh, S., Churchill, R. & Hotopf , M. (2007). Mental capacity in psychiatric patients. Systematic review. British Journal of Psychiatry 191, 291–297.
  4. Breden, T.M. & Vollmann, J. (2004).The cognitive based approach of capacity assessment in psychiatry: A philosophical critique of the MacCAT-T. Health Care Analysis 12(4), 273–283.
  5. Charland, L.C. (1998). Appreciation and emotion: Theoretical reflections on the MacArthur Treatment Competence Study. Kennedy Institute of Ethics Journal 8(4), 359–376.
  6. Appelbaum, P.S. (1998). Ought we to require emotional capacity as part of decisional competence? Kennedy Institute of Ethics Journal 8(4), 377–387.